Dienstag, 2. November 2010

Mittelrheinbrücke bedroht UNESCO-Welterbe

PRESSEMITTEILUNG vom 2. November 2010


Mittelrheinbrücke - Quelle: MWVLW RLP

Wissenschaftsverbände: Mittelrheinbrücke bedroht UNESCO-Welterbe

Gutachten der RWTH Aachen hat das Welterbekomitee nicht überzeugt – Tunnel könnte zulässige Alternative sein

In einer ausführlichen Stellungnahme untersuchen Wissenschaftsverbände den Beschluss des Welterbekomitees vom 28. Juli 2010 und die in der bisherigen Debatte nicht berücksichtigte Begründung. Diese sei entscheidend für das Verständnis des Textes und dessen Auslegung. Verständnisprobleme werden durch die Landesregierung bereits eingestanden. Anders als eine Brücke könnte ein Tunnel Zustimmung des Welterbekomitees finden. Eine solche Alternative sei schon in den Beschlüssen zu Dresden angelegt.

Bonn, Florenz, Hamm: Die im Mittelrheintal geplante Brücke bei St. Goar hat wenig Aussicht auf Akzeptanz bei der UNESCO, so ein Ergebnis der gemeinsamen Stellungnahme von DGUF, UVP-Gesellschaft und CIVILSCAPE. Die Visualisierungsstudie der RWTH Aachen „enthält kein überzeugendes Argument, wie der Talabschnitt zwischen Fellen und Wellmich – mit Brücke – noch zum Outstanding Universal Value (OUV) beitragen könnte“. Das schreibt das Welterbekomitee der UNESCO in seiner Begründung zum Beschluss vom 28. Juli 2010. Der betreffende Talabschnitt sei „notwendiger Teil einer insgesamt harmonischen Landschaft“, er könne also nicht isoliert betrachtet werden.

Gutachten der RWTH Aachen hat nicht überzeugt - OUV könnte verloren gehen

Damit hat sich das Welterbekomitee in der Bewertung des geplanten Eingriffs in die historische Kulturlandschaft weitestgehend festgelegt. „Eine Brücke an dieser Stelle würde bedeuten, dass der entscheidende Außergewöhnliche Universelle Wert (OUV) und damit der Welterbetitel für das gesamte Mittelrheintal verloren gehen würde“, sagt Dr. Christian Möller, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte. Am Planungsziel einer Brücke sollte daher realistisch nicht festgehalten werden.

Tunnel könnte Zustimmung finden – Erstaunen auf internationaler Ebene

Im Gegensatz zur Brücke sehen die Verbände in einem Tunnel eine mögliche Option für eine feste Rheinquerung. „Ein Tunnel hat nach den vorliegenden Umweltprüfungen moderate Auswirkungen auf das Welterbe Oberes Mittelrheintal, er könnte Zustimmung finden“ sagt Dr. Gerhard Ermischer, Generalsekretär der Internationalen Vereinigung CIVILSCAPE zur europäischen Landschaftsschutzkonvention.

Der Fall der Mittelrheinbrücke wurde bei der jüngsten Jahrestagung von CIVILSCAPE in Florenz diskutiert. „Auf internationaler Ebene erstaunt und irritiert, dass nach dem Desaster von Dresden erneut von Politik und Verwaltung in Deutschland versucht wird, eine Brückenlösung in einer Welterbelandschaft durchzusetzen“, so Dr. Ermischer weiter. Das Wichtigste sei jetzt eine echte und intensive Bürgerbeteiligung, bei der alle Karten auf den Tisch gelegt werden müssten, so z.B. die Umweltverträglichkeitsstudie von Cochet. Man müsse aktiv auf die Bürger zugehen und sie zur Mitarbeit einladen und dürfe sich nicht hinter formalen Prozeduren verschanzen. In diesem Zusammenhang geben die Verbände ihrem Erstaunen und Ihrer Besorgnis Ausdruck, dass die Landesregierung die Bedeutung des Begründungstextes zum Beschluss des Welterbekomitees nicht zu erkennen vermöge. Damit sei der Weg nach Dresden oder Stuttgart 21 vorgezeichnet.

Beschlüsse zu Dresden beschreiben rechtliche Vorgaben

Die Verbände weisen insbesondere auf den Fall der Waldschlößchenbrücke in Dresden hin, der fachlich und sachlich in Bezug auf Art und Weise sowie Folgen des Eingriffs in die Kulturlandschaft zu vergleichen ist. „Eine Tunnellösung für das Mittelrheintal liegt bereits aufgrund der Beschlüsse zu Dresden nahe“, so Dr. Frank Scholles, Vorstand der UVP-Gesellschaft. „Eine gleiche Behandlung sei für die Glaubwürdigkeit des Welterbeprogramms von entscheidender Bedeutung“, ergänzt Dr. Christian Möller mit Hinweis auf das vorrangige strategische Arbeitsziel des Welterbekomitee. Die UVP-Gesellschaft will sich zukünftig verstärkt den Verfahrens- und Methodikfragen zum Welterbe Mittelrheintal widmen.

Eingeständnis von Verständnisproblemen

Dass es auf Seiten der Landesregierung tatsächlich Verständnisprobleme mit dem Beschluss der UNESCO gebe, werde auch mit einem Hintergrundtext vom 29. Oktober deutlich. Hier fragt die Landesregierung nach dem Sinn der Formulierung in Punkt 5: Das Welterbekomitee stellt darin fest, „dass der Vertragsstaat der Auffassung sei, dass die Entwicklung eines Masterplans für das Welterbe unentbehrlich ist, zumal die geplante Rheinbrücke nur einen Baustein vieler in diesem Zusammenhang notwendiger Maßnahmen darstellt.“ Tatsächlich wird hier betont, dass nur der Vertragsstaat die Notwendigkeit einer Brücke sehe und niemand sonst. Vor allem aber gehe es darum den Masterplan einzufordern und zu erfahren, welche weiteren Maßnahmen und Veränderungen im Oberen Mittelrheintal geplant seien, um diese gesamthaft beurteilen zu können.

Ampel steht auf „Dunkelgelb“

Grundsätzlich geben die Verbände zu bedenken, dass zunächst auch Fachleute den Beschluss fehlgedeutet hätten. Hier bestünde aber nun Einigkeit in der Bewertung. „Von einem 'Grünen Licht' kann keine Rede mehr sein, die Ampel steht auf Dunkelgelb“, so Dr. Scholles weiter. Entscheidend für das Verständnis sei die erst später bekannt gewordene Begründung zum Beschluss, deren zurückhaltender britischer Diplomatie man sich nicht verschließen dürfe. Die Begründung trage inhaltlich keine Freigabe für eine Mittelrheinbrücke, im Gegenteil. „Wir schlagen weiterhin vor, dass man sich intensiv mit unserer Stellungnahme auseinandersetzt. Sie soll einen Beitrag leisten, um den gesellschaftlichen Diskurs über das Welterbe Oberes Mittelrheintal in die richtige Richtung zu bewegen“, so Dr. Christian Möller, der abschließend anmerkt, dass man nur der Überbringer der Nachricht sei.

Nach Überzeugung der Verbände sollte man nun über die vom UNESCO-Welterbekomitee angedeutete Alternative eines Tunnels oder die Fähren diskutieren, die ausbaufähig und vor allem Bestandteil des lebendigen Welterbes seien. Hier seien vertiefende Prüfungen erforderlich.

Erläuterungen:

Juristische Begründung: Eine Begründung ist rechtsmethodisch und demokratisch erforderlich, um Transparenz der Entscheidungsgrundlagen zu gewährleisten und sachfremde Erwägungen auszuschließen. Ein Beschluss muss von der Begründung inhaltlich hinreichend getragen werden, widrigenfalls ist er ungültig. Auf EU-Ebene ist die Begründungspflicht in Art. 296 des Lissabon-Vertrags festgeschrieben. Ziel ist die Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen (Bürger wie Staaten). Der Gleichheitsgrundsatz findet sich im Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1.

Hinzuweisen ist hier auf das zentrale Bildungsziel der UNESCO von „Demokratie“. Begründungen sind schon deshalb für alle Entscheidungen des Welterbekomitee zwingend erforderlich. Die Auslegungsregeln sind Gegenstand der Rechtstheorie und gelten national und international für alle Rechtsorgane, also auch das Welterbekomitee gleichermaßen.

Die zum Beschluss 34 COM 7B.87 gehörende Begründung mit Sachstandsbeschreibungen ist in den Dokumenten der 34. Sitzung des Welterbekomitee neben den Entscheidungen einsehbar und als solche schon aufgrund Aufbau und Systematik leicht erkennbar. Es gibt keine andere Begründung. Der vorliegende Text kann daher kein irrelevanter „Vorspann“ zur Entscheidung sein, wie die Landesregierung RlP darzustellen versucht.

Outstanding Universal Value (OUV): ist der entscheidende Wert für das UNESCO-Welterbe und in Artikel 1 (Kulturerbe) und Artikel 2 (Naturerbe) ausdrücklich als Merkmal hervorgehoben. Ohne Außergewöhnlichen Universellen Wert kann ein Objekt aus Kultur- und Naturerbe kein Welterbe werden – oder bleiben.

Strategische Arbeitsziele des UNESCO-Welterbekomitee: im englischen als die „5 C´s“ bezeichnet. 1. Credibility
(Glaubwürdigkeit); 2. Conservation (Erhaltung); 3. Capacity-Building (Aufbau wirksamer Kapazitäten); 4. Communication (Kommunikation und Bewusstseinsbildung); 5. Communities (Stärkung der Gemeinschaften für den Erhalt). Vgl. dazu Ringbeck,Welterbe-Manual 2009, S. 207 Nr. 26.

Hintergrundinfo zum Beschluss von Brasilia: Staatssekretär Prof. Dr. Siegfried Englert, Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, berichtete am 1. Oktober 2010 während einer Konferenz des Werkbundes RlP in St.Goar von der Verhandlung zum Mittelrheintal in Brasilia. Danach herrschte allgemein bis zur Beratung des Welterbekomitee der feste Eindruck vor, dass eine klare Abweisung der Brückenpläne erfolgen würde. Der vorliegende Beschluss mit Begründung ist im Sinne des angedeuteten Kompromisses (mögliche Tunnellösung) Resultat der intensiven Lobbyarbeit der deutschen Delegation in Brasilia.

Hinweise:

Unter www.loreleyinfo.de oder www.rheinpassagen.de sind folgende Dokumente einsehbar:

  • Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF), der Gesellschaft für die Prüfung der Umweltverträglichkeit (UVP-Gesellschaft) und der internationalen Vereinigung CIVILSCAPE zur Europäischen Landschaftsschutzkonvention (Florenz) vom 28. Oktober 2010.
  • Vorläufiger Beschluss (Draft Decision) einschließlich der Begründung und deutscher Übersetzung.
  • Endgültige Beschlussfassung (Decision) in einer Synopse mit dem vorläufigen Beschluss und einer deutschen Übersetzung. Sie bestätigt den vorläufigen Beschluss umfassend. Damit behält auch die Stellungnahme der Verbände vom 28. Oktober ihren umfassenden und grundsätzlichen Wert für weitere Diskussionen.
  • bisherige Pressemitteilungen einschließlich Hintergrundinfo der Landesregierung RlP.

Alle Dokumente und Entscheidungen der 34. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitee in Brasilia sind im Original unter http://whc.unesco.org/en/sessions/34COM/documents/ einsehbar.

Kontakt:

Dr. Christian A. Möller, Tel.: 0151 12 51 44 97 – Mail: christian.moeller[at]dguf.de