Dienstag, 5. Oktober 2010

Mittelrheinbrücke - Beste Lösung?

Verkehrliche Bewertung einer Brücken-, Tunnel- oder Fährverbindung im Mittelrheintal bei St. Goar - Gutachten für das Land Rheinland-Pfalz

durchgeführt am Lehrstuhl und Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen University
Leitung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dirk Vallée

Prof. Dr. Ing. Dirk Vallée, bis Februar 2008 Leitender Technischer Direktor beim Verband Region Stuttgart, machte seinen Doktor bei Prof. Wulf Schwanhäuser an der RWTH Aachen, und in seiner Stuttgarter Zeit Propaganda für Stuttgart 21. Ab März lehrt er als Professor am Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen.
Quelle: Das Stuttgart-21-Kartell Im Dunstkreis von Machtmissbrauch und Größenwahn

Statement von Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein auf der Werkbund-Konferenz in St. Goar am 01.10.2010

Vizepräsident Europa Nostra, Den Haag
Vorsitzender Europa Nostra Deutschland, Bonn
Präsident Deutsche Burgenvereinigung, Braubach/Rhein

Bemerkungen zu dem Gutachten des ISB der RWTH Aachen für das Land Rheinland-Pfalz zu der Verkehrlichen Bewertung einer Brücken-, Tunnel- oder Fährverbindung im Mittelrheintal bei St. Goar zur Vorlage bei der Unesco-Welterbekonferenz 2010 in Brasilia.

1. Ausgangslage und Aufgabenstellung

In der Einleitung des Gutachtens fehlt ein Hinweis auf die Bedeutung des Fremdenverkehrs am Oberen Mittelrhein als Hauptarbeitgeber und potentiell wichtigster wirtschaftlicher Ertragsquelle. Zielrichtung der Studie ist vielmehr ganz allgemein die Verbesserung der strukturellen Situation, also unabhängig von den Auswirkungen auf den Fremdenverkehr. So werden die besonderen Auswirkungen der Querungsalternativen auf den Fremdenverkehr mit Hotellerie und Gastronomie wenig oder gar nicht berücksichtigt.

2. Leistungsfähigkeit und städtebauliche Einbindung einer Fährverbindung

Für eine neue Brücke bei Wellmich werden 7.000 Fahrten pro Tag prognostiziert. Zur Bewältigung des gleichen Verkehrsvolumens wären 3 Fährstandorte mit insgesamt 4 Fährschiffen notwendig. Auf diese Fährkapazitäten wird nachfolgend die Vergleichsberechnung aufgebaut. Dabei wird nicht erwähnt, dass heute an den 4 bestehenden Fährstandorten nur insgesamt etwa 1100 Fahrzeuge pro Tag befördert werden, die Nachfrage für Ost-West-Fahrten derzeit also de facto nur 15% des angesetzten Bedarfs beträgt. Die Bedarfsprognose des Gutachtens liegt also weit daneben. Sie erklärt sich nur durch die Erwartung eines erheblich ausgeweiteten Ost-West-Verkehrs, für den erst noch Straßen (aus-) gebaut werden müssten und dessen Auswirkung auf den Außergewöhnlichen Universellen Wert des Welterbegebiets nicht explizit untersucht wurde.

3. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Es wird für Brücke und Tunnel die Annuitätenmethode angewandt, für Fähren eine Vollkostenbetrachtung.
Der Ansatz ist, was die Fähren betrifft, falsch. Diese werden privatwirtschaftlich betrieben, Einnahmen und Ausgaben trägt der jeweilige Betreiber. Die Fähren belasten also grundsätzlich nicht den Steuerzahler. Als Vergleichsgröße zu den Brücken- bzw. Tunnelkosten könnte nur ein öffentlicher Zuschuss herangezogen werden, der die Fährbetriebe in die Lage versetzt, rund um die Uhr und bei einem höheren Takt Fahrzeuge zu transportieren. Genau diese Kosten, die man als Vergleichsgröße hätte untersuchen müssen, wurden in dem Gutachten aber nicht ermittelt mit der Begründung, man könne nicht eine Fähre subventionieren ohne den anderen Fährbetrieben zu schaden. Richtig und wichtig gewesen wäre aber die Untersuchung einer Subventionierung aller Fährbetriebe.
Bei ganz grob geschätzten Subventionierungskosten von EUR 100.000/Jahr pro Fähre wäre diese Alternative für den Steuerzahler bei weitem weniger belastend als eine feste Querung (s.u.).
Nachdem der Ansatz zur Untersuchung der Fährkosten ( und damit das Ergebnis) schon falsch war, ist es unerheblich auf einen zweiten wesentlichen Fehler in der Studie hinzuweisen: Man geht von einer Neuanschaffung aller vier Fährschiffe aus und gibt diesen Schiffen als Grundlage der Annuitätenberechnung eine durchschnittliche Lebensdauer von 25 Jahren. Tatsächlich fahren Fähren erheblich länger. Die derzeit auf dem Oberen Mittelrhein verkehrenden Fähren sind bereits zwischen 28 und 100 Jahre im Betrieb. Die Annuitäten (die der Steuerzahler gar nicht zu zahlen hat) sind in der Studie weit überhöht.
Umgekehrt geht man mit den Brückenkosten um. Hier stehen lediglich Baukosten von 40 Millionen Euro im Raum. Der Ausbau und Neubau von Straßen zur Aufnahme des zusätzlichen Verkehrs entlang des Rheins und, sehr wichtig, in Ost-West-Richtung hinauf durch die engen Seitentäler, ist nicht ermittelt worden. Bei einer Addierung dieser zusätzlich notwendigen Kosten in 2-stelliger Millionenhöhe würde sich die Brücke- bzw. Tunnel-Alternative als wirtschaftlich noch ungünstiger erweisen.

4. Betriebliche Einschränkungen einer Fährverbindung

Nach Aussage des Sprechers des Deutschen Fährverbandes sind die in der Studie genannten 5 Ausfalltage um ein mehrfaches zu hoch angesetzt. Tatsächlich lägen die Ausfälle der Fähren am Mittelrhein eher bei einem Tag/Jahr. Hinzu kommt, dass Ausfälle wegen Hochwassers ursächlich mit überfluteten Uferstraßen zusammen hängen, also die Brückenalternative genauso tangieren. Weiterhin zeigt die Studie, dass der Klimawandel nicht wie an einer anderen Stelle der Studie prognostiziert, zu mehr, sondern tatsächlich während der letzten 10 Jahre zu drastisch weniger Hochwasserständen geführt hat.

5. Akzeptanzunterschiede von festen Verbindungen zu Fähren

Hier findet man die unverständliche Behauptung, dass „psychologische kulturhistorische Gründe gegen eine Fähre sprechen.“ Tatsache ist, dass die Fähren seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil des Lebens am Mittelrhein und Teil des Außergewöhnlichen Universellen Wertes dieses Welterbegebietes sind.

6. Veränderungen der Erreichbarkeit

Hier werden Fahrzeiten von verschiedenen Orten links und rechts des Rheins bis hinauf nach Nastätten und Emmelshausen über eine feste Querung bzw. über die bestehenden Fähren verglichen. Dabei geht man nicht von einer Brücke zwischen Wellmich und Fellen, sondern fälschlich von einer Brücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen aus. Nur durch diese unrealistische Annahme entsteht ein knapp positives Ergebnis für die Brückenvariante.

Fazit

Das Gutachten kommt in praktisch allen untersuchten Bereichen zu falschen Ergebnissen.
Insgesamt sollte es, bei gründlicher Analyse und objektiver Bewertung, die Vorteile des Erhalts bzw. Ausbaus der Fährverbindungen deutlich bestätigen.
Der Umstand des mangelhaften Vortrags ist gravierend, weil den im fernen Brasilia tagenden Unesco-Vertretern aus aller Welt das Gutachten der weltweit bekannten RWTH Aachen von hohen Repräsentanten der staatlichen Stellen in Rheinland-Pfalz vorgelegt wurde und dort als Entscheidungsgrundlage diente.
Nur dadurch kam es zu dem Auftrag, einen Masterplan zur Brückenalternative zu erarbeiten.
Eine Heilung dieser unerfreulichen und das Welterbe bedenklich gefährdenden Situation kann nur durch eine gründliche Überarbeitung des Gutachtens bei deutlich geänderter Aufgabenstellung erfolgen.

Das Ergebnis sollte der Unesco zum 1. Februar 2011 gemeinsam mit dem angeforderten Bericht zur Entwicklung eines Masterplans vorgelegt werden.


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